„Einmal Stundenweltrekord, bitte“

Ein kleiner Einblick in die Vorbereitung eines Rekordes aus der Sicht des Sportlers.

Alles begann mit einem Anruf von Guido Mertens, den ich bekam als ich gerade auf dem Supermarktparkplatz stand, im Februar 2015. Ich kannte Guido natürlich schon vorher und war immer beeindruckt, wie effektiv er sich auf die Rennen vorbereitet hatte. Er erklärte mir, dass er sich noch mal meinen Leistungstest vom letzten September bei STAPS angeschaut hätte und durchaus Potential sehen würde, dass ich den 1h-Weltrekord brechen könnte. Erst einmal musste ich mich vergewissern, dass wir über die gleiche Marke von 56,375km/h von Broadman bzw. von 56,696km/h Aurélien Bonneteau sprechen. Das Ganze würde natürlich nur funktionieren, wenn ich mal anfangen würde zu trainieren und nicht einfach nur immer durch die Gegend fahren würde. Von dem Gedanken vielleicht einmal wirklich diese Marke knacken zu können euphorisiert, habe ich mich bei STAPS angemeldet und das Training aufgenommen. Schnell merkte ich das man auch das Trainieren trainieren muss und so verging das erste halbe Jahr damit, dass ich mich auf die neue Situation einstellte. Neben meiner körperlichen Fitness galt es natürlich auch ein Rad zu haben, welches für einen solchen Rekord geeignet ist. Schnell war klar, dass mein Troytec Time Trail zwar noch Verbesserungspotential aufweist, aber das Vorstoßen in diese Geschwindigkeitsregionen mit dem Rad nicht möglich sein würde. Auch die zweite Möglichkeit die aufkam, dass ein Rad extra für mich entwickelt und designt wird, verlief sich nach 6 Monaten durch unglückliche Umstände im Sande. Nun stand ich nach 6 Monaten hartem Training da ohne Rad mit einer deutlich besseren Form als jemals zuvor, doch der Rekord schien weiterhin außer Reichweite zu sein.

Als wir auf dem Weg zu einem der letzten Rennen in der Saison waren, meinte Hanns Stresius zu mir, warum ich nicht mal bei Bram Moens, dem Inhaber von M5-Ligfietsen, anfragen würde. Dieser hätte doch in Middelburg einen Prototypen rumstehen, welcher das Potential zum Rekordrad haben sollte. Nach ein paar Mails und einem Telefonat habe ich mich mit meiner Freundin auf den Weg zu Bram gemacht. Bram konnte meine Zuversicht zunächst nicht teilen. Auch der extreme Größenunterschied zwischen uns beiden, machte ein Anpassen des Rades an meine Größe nicht gerade einfacher. Nichtsdestotrotz lag das Rad auf der Rückfahrt bei mir im Auto und mein Plan war: In einem halben Jahr mach ich die erste Rekordfahrt (Das wäre im März 2016 gewesen). Doch bekanntlich wurde daraus nichts, denn nach den ersten Testfahrten auf der Kölner Albert-Richter-Bahn und einer Sitzanalyse von Guido stand fest: Der Sitz muss deutlich verschoben werden. Im Februar ging es dann zum ersten chirurgischem Eingriff zu Hans van Vugt (Elan). Die Verbesserung war deutlich zu spüren, dennoch hatte ich beim Fahren auf der Bahn immer Probleme mit Rückenschmerzen oder Seitenstichen und die Leistungswerte blieben deutlich hinter meinen Erwartungen. Ich fing an zu zweifeln, ob ich jemals die Leistung in dieser Position treten können würde, die nötig sein würde. Das Training auf dem Rekordrad (meistens Rolle) wurde weiter intensiviert, um meinem Körper weiter an die extreme Position zu gewöhnen. Der eigentliche Plan Ende März das erste Mal einen Rekordversuch zu starten wurde auf Ende Mai korrigiert. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest auf welcher Bahn der Rekord letztendlich stattfinden sollte und auch am Rad waren noch viele Baustellen. So fehlten die extra schmalen Kurbeln, ein Scheibenvorderrad und auch die Sitzschale war noch nicht überarbeitet. Die Trainingswochen plätscherten so dahin, ich fuhr die ersten Rennen und merkte förmlich wie ich fitter und fitter wurde. Und ehe ich mich versehen konnte war auch schon Ende Mai und da stand ich mit meiner super Form, aber weiterhin ohne fertiges Rad oder Bahn. Es folgte ein überaus stressiger Juni mit viel Fahrerei und Geschraube bei Guido. Meine eigentliche Favoritenbahn in Apeldoorn war zu diesem Zeitpunkt noch nicht offen, also hieß es eine Alternative zu organisieren. So langsam liefen uns die Wochenenden davon, an denen man einen Versuch starten konnte, da im Juli die Weltmeisterschaften und auch ein Langstreckenrekord anstanden. Also haben wir uns entschieden am letzten Wochenende im Juni einen Versuch auf der Kölner Bahn zu wagen mit der Option am Folgetag auch noch in Büttgen fahren zu können. Diese Rückfalloption war sehr wichtig, da ich aufgrund der beiden Scheibenräder nur bei absoluter Windstille in Köln fahren konnte.

 

In einer kleinen Nachtschicht wurde der Sitz mit viel Tape und Karton in Form gebracht. Für eine Glasfaser oder Carbonform war schlichtweg keine Zeit mehr und auch der Effekt, der diese Umbaumaßnahme bringen würde, war nicht genau abschätzbar. Am nächsten Tag gab es dann den nächsten kleinen Rückschlag. Nachdem alles soweit vorbereitet war, musste ich leider feststellen, dass das laue Lüftchen einen Start zu gefährlich machte. Dabei hatte der Buschfunk prima funktioniert und es waren einige aus unserer Liegeradszene zum Anfeuern gekommen. So musste ich leider auf den Montag morgen quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausweichen (da fast jeder hier arbeiten muss). Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal an Jörg Basler und Hans van Vugt, die sich extra frei genommen haben, um mich zu unterstützen.
Meine Euphorie am Start wurde schon nach 10min in Ernüchterung umgewandelt, als ich den ersten Daumen nach unten bekommen hatte. Dies hieß ich würde zu langsam fahren, um den Rekord zu brechen. Ich versuchte das Tempo wieder zu verschärfen, aber meine Beine fühlten sich wie Blei an. Nach ca. 20min fand ich besser in meinen Rhythmus und ich konnte das kleine Zwischentief überwinden. Leider reichte es am Ende nicht, um den Rekord von Chris Broadman zu schlagen. Das Positive war jedoch, dass ich bei relativ geringer Leistung schon in den Bereich des Rekordes gefahren bin und das Potential des Rades war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht ausgeschöpft.

Auch Guido und Hans waren nach dem ersten Test unter Rekordbedingungen sehr zuversichtlich, dass der Rekord fallen würde, wenn man noch ein wenig am Rad schraubt und meine Adaption ans Rad verbesserte. Denn was ich bisher nicht erwähnt hatte, wir hatten ca. 2 Wochen vor dem Rekordversuch noch die Kurbeln gekürzt von 160mm auf 136mm. Eine Umstellung auf die neue Kurbellänge braucht jedoch wesentlich mehr Zeit.

Nach dem Rekord standen erstmal die Verteidigung des Weltmeistertitels und die Verbesserung des 6h Weltrekordes an. Ich muss mir eingestehen, dass ich diese Belastung doch ein wenig unterschätzt habe, sodass ich eine Woche Trainingspause einlegen musste, um meinem Körper die nötige Ruhe zu geben. Inzwischen habe ich mir an das Troytec ebenfalls 136mm lange Kurbeln gebaut, um jede Trainingseinheit nutzen zu können mich an die neue Kurbellänge zu gewöhnen.

Um genügend Zeit für den Umbau des Rades zu haben, beschlossen wir den nächsten Rekordversuch Mitte September zu machen. Mit der Bahn in Frankfurt/ Oder konnten wir eine Bahn mieten, die potentiell schneller sein sollte als die in Büttgen (laut Aussagen von Lars Teutenberg. Und der weiß wovon er redet). Die Trainingseinheiten auf dem „neuen“ Trainingsgerät (Troytec plus Minikurbeln) verliefen eher schleppend. Noch immer fühlte ich mich ein wenig leer und mit den kurzen Kurbeln konnte ich irgendwie nicht mehr an die Wattzahlen in den Intervallen rankommen. Nebenbei starteten wir den Umbau der Sitzschale. Hier sollte eine Carbonabzug entstehen. Der Umbau zog sich wesentlich länger hin als befürchtet und das Rad sollte erst 2,5 Wochen vor dem Rekordversuch wieder rollen. Bei den Rennen im August konnte ich zwar gewinnen, aber die Wattzahlen blieben deutlich hinter unserer eignen gesetzten Marke zurück. Daher gab mir Guido zu verstehen: „Ich müsste jetzt mal liefern, sonst bringt das ganze Geschraube hier nichts.“ Gesagt, getan. Ich schnappte mir mein Troytec und fuhr zur Bahn in Köln, wo ich die längste Stundes meines bisherigen Lebens erlebte. Ich fuhr für eine Stunde einsam meine Runden immer mit Blick auf das Garmin. Am Ende konnte ich ohne mich die letzte Viertelstunde komplett auszukotzen auf die nötige Durchschnittsleistung kommen. Das gab mir zum einen die Sicherheit, dass ich die nötige Leistung bringen kann, um den Rekord anzugreifen zum anderen Guido die nötige Motivation das Rad zu vollenden.

 

In den letzten zwei Wochen vor dem Rekord war ich nun gefühlt nur noch im Auto, in der Bahn oder auf der Bahn am Trainieren. So bin ich zum Beispiel am Dienstag vor dem Rekordversuch noch mal eben zu Bram nach Middelburg gefahren, um Laufräder abzuholen. Die Rechnung für diesen Endspurt folgte am Freitag abend vor dem Rekordwochenende als ich tot müde um kurz vor zehn ins Bett ging. Ich bekam zunächst Schüttelfrost und nach kurzer Zeit lag ich komplett durchgeschwitzt im Bett und sah den Rekordversuch am Sonntag in weite Ferne rücken. So schnell wie das Fiber gekommen war, ist es glücklicherweise auch wieder gegangen. Am Samstag morgen war meine Körpertemperatur wieder bei normalen Werten angelangt und da es mir den Umständen entsprechend gut ging, haben wir uns entschlossen auf den Weg zu machen.

In Frankfurt Oder angekommen war ich wie im Tunnel. Die ersten Runden liefen gut, auch wenn das Powermeter keine richtigen Werte anzeigte, weiß ich natürlich wie viel Druck auf der Pedale in etwa wie viel Watt entsprechen. So drehte ich ein paar Runden als Vorbelastung für den nächsten Tag und konnte sogar mal die 60km/h Marke knacken. Ab dem Zeitpunkt war mir klar. Der Rekord wird morgen fallen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einschätzen konnte, war wie schnell Alain fahren würde. Auch bei ihm sah alles sehr geschmeidig aus und er wirkte auch sichtlich zufrieden mit den Testfahrten am Samstag. Ich versuchte mich ganz auf meine eigene Rekordfahrt zu konzentrieren.

Nach einem netten Frühstück am Sonntag in der Sportlerkantine bereitete ich meine Getränke zur Rekordvorbereitung vor. Als erster ging Alain auf die Bahn. Leider erwischte Alain wohl einen schlechten Tag und er konnte seine Leistung nicht auf die Bahn bringen. Manchmal läuft es einfach nicht und man weiß danach nicht wirklich woran es lag. Nach einer so guten Saison, die er gefahren ist, hätte er es auf jeden Fall verdient gehabt, seine Bestleistung abzurufen. Aber ich bin mir sicher, dass Alain nächstes Jahr noch einmal angreifen wird und bin schon jetzt gespannt, ob mein Rekord dann weiter bestehen bleibt.

Ehe ich mich versehen konnte, saß ich selber auf meinem M5-Renner. Die Anspannung war unübersehbar und nach der dritten Erleichterung der Blase konnte ich dann auch endlich meine Stunde angehen. In den Vorbereitungen hatte ich natürlich noch einmal versucht das Powermeter vernünftig zu kalibrieren. Leider ohne Erfolg wie ich nach dem Start feststellen musste. Auch der Tacho, welcher die ganze Zeit vorher gut funktioniert hatte, hat nichts mehr angezeigt. Also blieb mir nur noch die Zeit als Anhaltspunkt. Ich hatte abgesprochen, dass ich auf einer Tafel den Gesamtschnitt angezeigt bekommen möchte. Die ersten Schnitte die ich auf der Tafel gesehen habe, kamen mir sehr niedrig vor, dabei kam mir meine Geschwindigkeit sehr schnell vor. Ich schätzte sie so auf 59-60km/h. Die zu niedrigen Schnitte kamen dadurch zu Stande, dass im Programm der Zeitmessung die Totzeit, die Zeit zwischen dem Starten der Zeitmessung und des ersten Überquerens der Messschleife nicht korrigiert wurde.
Der Fehler ist leider erst zum Ende der Stunde aufgefallen, welches aber auch etwas Positives hatte, denn meine einzige Orientierung war der Gesamtschnitt, der zwar stetig stieg aber erst nach 40min bei 56,7km/h stand. In Wirklichkeit war ich wesentlich schneller, aber so war ich viel motivierter das Tempo die ganze Zeit hochzuhalten. So hatte also dieser Fehler auch seinen positiven Effekt.  Die letzten 20min sollten dann noch einmal richtig hart werden. Ich merkte wie meine Beine schwerer und schwerer wurden und die Geschwindigkeit leicht abfiel. Mit der Motivation so kurz vor dem Ziel zu sein mobilisierte ich noch einmal meine letzten Kräfte. Ein unglaubliches Gefühl nach so langer Vorbereitungszeit endlich die Ziellinie zu überqueren und zu wissen, dass ich es geschafft habe. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass ich nicht nur den Rekord knapp geschlagen hatte, sondern sogar um fast 1km/h verbessert habe (bezogen auf die Bestleistung von Aurélien).

Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick geben, was alles zu so einem Projekt dazu gehört und dass es eben viel mehr ist als eine Stunde im Kreis zu fahren. Nur dadurch, dass mir so viele helfende Hände zur Seite standen, konnte dieses Projekt erfolgreich zu Ende gebracht werden. Da ist natürlich Bram Moens, der mir das Rad anvertraut hat, Guido Mertens, der den Hauptteil der Umbauten am Rad vorgenommen hat, Hans van Vugt, der mich ebenfalls beim Umbau und mit Spezialteilen versorgt hat, die finanzielle Unterstützung durch die Gauselmann AG und Basler Bikes zu nennen. Ralf Golanowsky opfert schon seit Jahren viel Freizeit für meine Rekordunternehmungen und ist wohl auch mit daran Schuld, warum ich überhaupt Liegeradrennen fahre. Außerdem konnte ich mich immer auf den Rückhalt meiner Familie und Freundin verlassen, auch wenn ich manchmal wohl nicht so ganz einfach während der Zeit war und für das Training viele Termine abgesagt habe. Auch bei allen anderen Beteiligten, die ich jetzt nicht persönlich genannt habe, aber ihrer Teil zu diesem Rekord beigetragen haben, möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken.

 

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